Von Mensch zu Mensch
»Wer kommt aus einem christlichen Elternhaus?« Als wir diese Frage in die Runde werfen, sind an unserem Jahrestreffen in einer abgelegenen Bergregion zwei Dutzend Pastoren-Ehepaare anwesend. Zu unserem Erstaunen meldet sich aber nur eine Person. Alle anderen sind Christen der ersten Generation. Das Evangelium verbreitet sich rasant in Nepal. Gleichzeitig nimmt die Verfolgung zu, weshalb sich unsere Arbeit auch mehr und mehr in den Untergrund verschiebt. Ein junger einheimischer Pastor sagt: »Danke, dass ihr den Mut habt, uns zur Seite zu stehen.«
Ausgrenzung, Prügel, Schikanen
In Nepal findet Verfolgung vor allem in den Dörfern statt, seitens der Familien oder der religiösen Führer. Die Religion der Mehrheit ist eine Mischung zwischen Buddhismus und Hinduismus. Wir hören immer wieder, dass Menschen, die sich zu Jesus Christus bekennen, verprügelt, eingesperrt oder vertrieben werden. Oder die Dorfbewohner schikanieren sie im Alltag, verbieten ihnen etwa, Holz aus dem nahen Wald zu holen, sodass sie viel längere Wege zurücklegen müssen.
Als Pastor Kumar* vor 15 Jahren zum Glauben kam, wollten ihn die Bewohner seines Dorfes brutal zusammenschlagen und umbringen. Er musste immer wieder fliehen und tauchte jeweils für mehrere Tage im Dschungel unter. »Sie haben mich aber nie erwischt, weil Gott mir jedes Mal zeigte, wann und wo ich mich verstecken musste.« Er fing an, in Einzelgesprächen von Jesus zu erzählen: beim Wasser Holen am Brunnen oder bei der Feldarbeit. Nach zwei Jahren kamen seine Frau und später vier weitere Familien zum Glauben. Heute sind zwei Drittel der Dorfbewohner Christen.
Zauberei als Geschäftsmodell
Die Weitergabe der Guten Nachricht geschieht in Nepal vor allem über persönliche Beziehungen. Neue Gemeinden können nur von Einheimischen gegründet werden. Aus diesem Grund wollen die Christen ihre Dörfer nicht verlassen. Und selbst wenn der Druck auf sie zunimmt, bleiben sie Jesus treu: »Was wir in Christus haben, können wir sonst nirgends finden«, sagt Pastor Kumar. Er und alle weiteren von AVC unterstützten Evangelisten operieren als Netzwerk, verteilt übers ganze Land und insbesondere dort, wo es noch keine Gemeinden gibt.
Eine einmalige Reise
Unsere Evangelisten gehen oft tagelang zu Fuss, um abgelegene Bergdörfer zu erreichen, in denen Gemeinden entstanden sind. Ramesh sagt, dass sich die Mühe lohne: »Für jemanden, der das Potenzial hat, eine Gemeinde zu leiten, nehmen wir uns viel Zeit. Wir führen diese Leute gründlich ein und leiten damit die Gemeinde in die Selbstständigkeit.« Zur Tarnung haben diese Wanderprediger offiziell andere Berufe, zum Beispiel Bauer oder Besitzer eines kleinen Ladens. Damit sie ihren eigentlichen Auftrag erfüllen können, unterstützen wir sie auch finanziell.
Für die Schlüsselpersonen aus den Dörfern bietet AVC auch eine einmonatige, intensive Kurzbibelschule in unserem Zentrum in Kathmandu an. Dabei werden biblische Themen angeschaut und gemeinderelevante Kenntnisse vermittelt. Für die gemeinsamen Mahlzeiten kocht jeder der Reihe nach Speisen aus seinem Dorf. Für viele ist es das erste und vielleicht auch einzige Mal, dass sie ihr Dorf verlassen. »Wir sind sehr froh, wenn sie es schaffen, sich diese Zeit zu nehmen. Sie lernen die Bibel besser kennen, wachsen im Glauben und kehren gut ausgerüstet in ihr Dorf zurück«, sagt Pastor Raj*, Hauptleiter unserer Arbeit in Nepal.
Unseren Evangelisten liegt aber nicht nur das geistliche, sondern auch das soziale Wohlergehen der Dorfbewohner am Herzen. Wo nötig unterstützen sie Witwen, körperbehinderte Menschen und bedürftige Familien. Sie organisieren die Verlegung von Wasserleitungen, den Bau sanitärer Anlagen, die Durchführung medizinischer Seminare, juristischen Support oder Aufklärungsarbeit. Letzteres, um zu verhindern, dass junge Nepalesinnen ins nahe Ausland in die Sklaverei und Prostitution gelockt werden. Christen der ersten Generation verändern ihr Land. Wir unterstützen sie gerne.
*Namen zur Sicherheit geändert