Individuell, persönlich, heimlich
Die Insel, auf der wir landen, ist nur knapp grösser als die Landebahn und der Flughafen. Hier prallen Welten aufeinander: die reichen Touristen, knapp bekleidet, unterwegs zum Luxus-Resort auf einer der 220 Inseln – und einheimische Frauen, verhüllt im Niqab, der nur einen Augenschlitz freilässt. In Male, der Hauptstadt der Malediven, leben rund 150 000 Einwohner, zusammengepfercht auf einer Insel, kaum grösser als 2 km2. Die Wohnungen sind teilweise so klein, dass im Schichtbetrieb geschlafen werden muss. Rund um die Uhr, mit Ausnahme weniger Nachtstunden, herrscht Hochbetrieb in der Stadt.
Versteckter Gottesdienst
Unser Begleiter kennt sich hier aus. Raviraj* bekommt die ungefähre Adresse des Gottesdienstes, den wir besuchen wollen, in letzter Minute per WhatsApp. Wir folgen unserem Partner durchs lärmige Strassenwirrwarr. Irgendwo treffen wir zwei Männer, die uns abholen. Wir biegen in eine enge, dunkle Gasse ein, huschen durch eine Tür und steigen eine Leiter hoch in eine kleine, helle Wohnung. Diese besteht aus zwei Räumen. Im Durchgang steht ein Rednerpult. Aus einem Mobiltelefon erklingen christliche Lieder. Nach und nach füllen sich die beiden Räume, Männer und Frauen sitzen getrennt. Auf eine glühende Worship-Zeit folgen Predigten auf Tamilisch und Singhalesisch.
Eine Frau des Gebets
Die meisten der rund 70 Ankömmlinge sind Christen aus Indien und Sri Lanka. Zum Beispiel Sahana*. Die Krankenschwester und ihr Mann leben seit 19 Jahren in Male, beide Töchter sind hier geboren. »Am Anfang war es für mich schwer. Meine Kolleginnen im Spital wollten mich zum Islam bekehren. Ich sagte ihnen, dass ich an Jesus glaube. Ich sagte ihnen aber auch, dass ich für sie bete. Ich bin eine Frau des Gebets und glaube daran, dass meine Kolleginnen eines Tages zu Jesus finden.«
»Ich zeige Jesus durch mein Leben«
Der Inder Bhavin* stammt aus einer christlichen Familie. Seit vier Jahren arbeitet er in Male in der Banken-Security. Bhavin teilt sich ein Zimmer mit weiteren sechs Männern. Er hat kürzlich in Indien geheiratet und versucht, seine Frau nach Male zu bringen. In seinem Arbeitsumfeld ist er der einzige Christ. »Ich zeige Jesus durch mein Leben«, sagt er. »Manchmal sprechen mich die Arbeitskollegen auf mein Verhalten an. Erst dann kann ich vorsichtig von meinem Glauben erzählen.«
Evangelisieren verboten
Gastarbeiter aus Sri Lanka und Indien sind besser ausgebildet als die Einheimischen. Sie arbeiten in Spitälern, Banken, Schulen oder in der Pharmaindustrie. Bei ihrer Einreise nach Male verpflichten sie sich per Vertrag, nur ihre Arbeit, nicht aber »religiöse Propaganda« zu machen. Christen, die evangelisieren und dabei erwischt werden, verlieren ihren Job und werden deportiert. Neben den weltlichen Gesetzen gilt hier auch das islamische Rechtssystem der Scharia: Eine andere Glaubensrichtung zu propagieren, kommt der Blasphemie gleich und zieht harte Strafen nach sich.
Lernen und Angst überwinden
Wie aber den Menschen von Jesus erzählen in einem Land, in dem selbst die Treffen ausländischer Christen illegal sind? Unter grossen Vorsichtsmassnahmen schult Raviraj jene Christen in Male, die ihren Glauben nicht nur für sich behalten wollen. Alles begann damit, dass er eingeladen wurde, zu den Teilnehmenden eines Gottesdienstes im Untergrund zu sprechen. Raviraj forderte sie heraus: »Wenn ihr bereit seid, den Maledivern von Jesus zu erzählen, dann komme ich, um euch zu schulen. Ihr könnt das Evangelium nicht weitergeben, wenn ihr die Kraft von Jesus nicht kennt!«
Bin ich gerettet?
Rund 50 Personen sagten zu. Seither reist unser Partner alle paar Monate für die Jüngerschaftsschulung aus einem Nachbarland nach Male. »Am Anfang ging es darum, dass die Teilnehmer verstehen, dass sie gerettet sind«, erinnert sich Raviraj. »Und langsam begannen sie, die Bedeutung des Evangeliums zu begreifen und anderen von Jesus zu erzählen.«
Mit Wundern rechnen
Sie evangelisieren aber niemals mehrere Leute auf einmal, sondern immer nur individuell, persönlich, heimlich. »Wir empfehlen ihnen, nicht sofort über die Gute Nachricht zu sprechen, sondern zu beten und auf eine Gelegenheit zu warten – auf eine Situation, die Segen, Heilung oder eine Lösung erfordert«, so Raviraj. »Dann können sie sagen, dass sie an einen lebendigen Gott glauben. Und die Person fragen, ob sie für sie beten dürfen. Und wenn wir beten, wird Gott bestimmt Wunder tun. Das ist ein guter Ansatz, um über das Evangelium zu sprechen.« Als Pastor und Evangelist hat Raviraj selbst viele Wunder erlebt und zahlreiche Menschen zu Jesus geführt.
»Der Islam kennt zahlreiche Vorschriften. Die Menschen haben viele Ängste, aber nur wenig Liebe«, sagt unser Partner. »Unser Glaube ist komplett anders – er gründet auf der Liebe. Wenn wir mit der Liebe Gottes auf Muslime zugehen, braucht dies Zeit. Wir können das Evangelium verkünden. Den Rest tut Gott.«
* Namen geändert