20. Juni 2024

200 Füsse für die Liebe

MALI
Der Norden von Mali ist fest in den Händen der Dschihadisten. Christen flüchten in den Süden. Hier engagiert sich AVC mit Hilfsgütern und Projekten − und wäscht 100 Menschen die Füsse.

Vielleicht ist sie mit diesen Füssen vor den Dschihadisten um ihr Leben gerannt, denke ich, während meine Hände den Staub abwaschen. Wie ich fertig bin, singt die ältere Dame vor mir »Jesus loves me«, und wir beginnen beide zu weinen.

Im Süden: Hilfsgüter und Schulen
Wir befinden uns am Hauptsitz von ACP Néhémie Mali in der Hauptstadt Bamako im Süden des Landes. 100 Gäste drängen sich im kleinen Innenhof. Sie alle haben wegen ihres Glaubens an Jesus Verfolgung erlebt. Im Lauf des Vormittags hören wir von einigen Schicksalen. Als unser Projektleiter ankündigt, dass wir nicht nur Hilfsgüter verteilen, sondern ausserdem allen die Füsse waschen wollen, machen sich unruhiges Scharren und Gemurmel breit. Nach anfänglichem Zögern setzen sich die Ersten auf die vorbereiteten Stühle. Wir knien vor den Wasserschüsseln und waschen allen 100 Anwesenden die Füsse.

Was zunächst befremdlich für alle Beteiligten wirkt, wird zu einer wahrhaft himmlischen Erfahrung. Die Atmosphäre verändert sich, Herzen neigen sich einander zu. Wir sind nicht länger die Gönner aus dem Westen, die auf Ehrenplätzen sitzen und Hilfsgüter austeilen – wir dürfen tun, was Jesus für seine Jünger tat. Ein älterer Mann sagt: »Ich bin über 60 Jahre alt, aber noch nie hat mir jemand die Füsse gewaschen. Das hätte ich von euch Weissen nicht erwartet.«

Alle, die hier anwesend sind, haben Traumatisches erlebt. Die Situation in Mali verschlechtert sich seit Jahren. Seit dem Putsch im Mai 2021 verwaltet eine Militär-regierung das westafrikanische Land, das zunehmend im Elend versinkt. AVC engagiert sich, der Armut und dem hohen Analphabetismus in Mali entgegenzuwirken: durch unsere Schule im Südwesten von Bamako, ein Waisenhaus nördlich der Hauptstadt, durch Direkthilfe und Ausbildungsprogramme für Jugendliche und junge Erwachsene.

Im Norden von Mali wüten dschihadistische Gruppen, die meisten Christen haben diese Region verlassen. Doch auch Zentralmali ist kein sicherer Ort mehr. Hier drohen Christen ebenfalls Zwangskonversion, Enteignung und Tod. Durch unseren lokalen Partner ACP Néhémie Mali unterstützen wir die am stärksten betroffenen Personen.

Eine davon ist die arabischstämmige Adriana* mit ihren drei Kindern. Als die Witwe vom Überfall der Dschihadisten auf ihr Dorf bei Timbuktu und den Gräueln berichten will, die an Kindern und Frauen verübt wurden, versagt ihr die Stimme. Nach dem Überfall liess ihr Pastor sie wissen: Um 4 Uhr würde jemand kommen, um sie aus dem Dorf zu schmuggeln. Sie öffnete, als es um 3 Uhr klopfte. Es waren Dschihadisten. Die Frage, ob sie die arabische Christin sei, bejahte Adriana und sagt: »Für Jesus gibt es keine Araber und keine Bambara**. Er rettet, er heilt – das ist Jesus!«

Daraufhin nahmen die Terroristen ihren Sohn mit und folterten den Jungen elf Stunden lang. Als sie ihn zurückbrachten, warfen sie ihr das Kind vor die Füsse mit den Worten: »Hier hast du deinen Esel!« Adriana gelang die Flucht nach Bamako, doch das Leben in der Hauptstadt ist hart. Die Kinder sind schwer traumatisiert. Adriana ist dankbar für die Gebete der anderen Christen und für die Hilfsgüter von ACP Néhémie Mali, die eine grosse Unterstützung sind.

Abraham berichtet uns vom Überfall der Dschihadisten auf sein Dorf in Zentralmali. Der Mittsechziger ist ein bekannter Evangelist in der Gegend. Es war an einem Samstag. Abraham bestellte gerade seine Felder. Als die Terroristen auf ihn schossen, stellte er sich tot. Doch weil seine Familie noch im Dorf war, schlich er sich nachts zurück. Er fand seine Lieben im einzigen Raum des Hauses, den die Terroristen nicht durchsucht hatten. Doch sie hatten alles mitgenommen, was von Wert war. Und so blieb ihm nur die Wahl: Entweder er verliess die Gegend oder er wurde Muslim. Noch in der gleichen Nacht floh Abraham mit seiner Familie in Richtung Süden. Auch für sie ist das Leben als Flüchtling in der Hauptstadt schwer.

Ein Dorf der Hoffnung
Für Familien wie die von Adriana und Abraham gibt es jetzt aber Hoffnung. Im Sommer 2024 wird ACP Néhémie Mali auf einem Landstück in der Nähe von Bamako mit dem Bau eines Dorfs beginnen. Hier sollen mindestens 30 Familien verfolgter Christen, die es besonders schlimm getroffen hat, ein neues Zuhause finden. Doch bei diesem Projekt geht es nicht nur darum, Flüchtlingen ein Dach über dem Kopf zu bescheren, sondern ebenso, das Evangelium und damit Hoffnung in ein muslimisches Umfeld hineinzutragen. Der Bürgermeister der Kommune, an welche das AVC-Dorf angeschlossen werden soll, ist dem Projekt gegenüber sehr aufgeschlossen.

Nach einem intensiven Tag im Zentrum von ACP Néhémie Mali erhalten die Gäste Hilfsgüter: 100 kg Reis und 20 Liter Öl für pro Familie. Das reicht für die nächsten drei Monate. Die Eindrücke der Fusswaschung in Mali werden mich mein ganzes Leben begleiten.

* Name geändert
** Westafrikanische Volksgruppe und Sprache



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